Die Arbeit mit inneren Anteilen
- Michi To
- 20. Juli 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Jan.

Es ist fast wie ein Selbstverrat, wenn wir versuchen, unsere inneren Widerstände, ungeliebten Bewältigungsstrategien und die destruktiven Teile in uns einfach loszuwerden. Häufig höre ich von Menschen, dass sie bestimmte Aspekte ihrer Persönlichkeit oder Verhaltensmuster „wegmachen“ wollen – und das am besten so schnell wie möglich. Es ist durchaus verständlich, dass wir jene Teile von uns, die uns daran hindern, das zu erreichen, was wir uns wünschen, gerne loswerden möchten. Doch diese Teile gehören zu unserer Persönlichkeit, und sie existieren nicht ohne Grund.
Für mich beginnt die innere Arbeit genau dort – mit der Neugier, zu erforschen, was wirklich in uns vor sich geht. Wer sind all diese Teile in uns, und was möchten sie uns sagen? Welche Bedürfnisse und Zwecke verfolgen sie?
Die Kommunikation mit unseren inneren Anteilen
Durch die Arbeit mit unseren Anteilen wenden wir uns nach innen, und eine bewusste Kommunikation mit uns selbst kann beginnen. Die inneren Konflikte werden sichtbar und können bearbeitet werden. Teile, die wir gerne loswerden möchten, dürfen verstanden und mitfühlend akzeptiert werden. So können sie integriert werden. Denn im Grunde genommen dienten all diese Teile – auch wenn sie heute destruktiv wirken – einst unserem Überleben. Jüngere, verletzte Teile und die alten Strategien hängen oft noch im „Früher“ fest, in einem Zustand, der nicht mehr zu unserer aktuellen Realität passt. Diese Teile dürfen ins Bewusstsein kommen, versorgt werden und auf den aktuellen Stand gebracht werden: Heute ist es anders als früher – das Alte ist vorbei.
Gefühle und Erinnerungen als Schlüssel zur Heilung
Jeder Anteil hat eigene Gefühle, Erinnerungen und Körperempfindungen. Oft kommen dabei auch Gefühle und Erinnerungen zum Vorschein, die uns im Alltag normalerweise nicht zugänglich sind. Wenn wir damit beschäftigt sind, diese Gefühle und Erinnerungen aus unserem Bewusstsein fernzuhalten, führt das zu Spannungen und Symptomen.
Bessel van der Kolk beschreibt in seinem Buch „Das Trauma in dir“, dass unser Umgang mit uns selbst stark von unserer Fähigkeit zur Selbstführung abhängt.
Der therapeutische Prozess
Die Arbeit an den Anteilen kann durch verschiedene Methoden erfolgen, etwa durch das Arbeiten mit Stühlen oder auf einer inneren Bühne. Wenn Verstehen und Fühlen möglich werden, kann sich wirklich etwas verändern. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses ist die Stärkung des „Ichs“ sowie die Erarbeitung und Nutzung von Ressourcen. In meiner Arbeit geht es auch immer darum, die Kapazität für das Fühlen schrittweise zu erweitern und den Körper aktiv in den Prozess einzubeziehen.
Von der Skepsis zur Neugier
Als ich erstmals mit dieser Form der therapeutischen Intervention in Kontakt kam, konnte ich mir darunter überhaupt nichts vorstellen. Es erschien mir wie ein merkwürdiges Konzept. Es fiel mir schwer, zu akzeptieren, dass wir viele Anteile in uns haben. Doch über die Jahre hat sich eine große Neugier für die Arbeit mit Anteilen entwickelt. In verschiedenen therapeutischen Fortbildungen konnte ich mehr über die Theorie und die unterschiedlichen Interventionsmöglichkeiten der Anteile-Arbeit lernen.
Gemeinsam entscheiden, welcher Weg der richtige ist
Welchen Weg wir in unseren Sitzungen einschlagen und ob die Arbeit mit Anteilen für dich geeignet ist, entscheiden wir gemeinsam. Nicht jeder Mensch hat eine Resonanz für diese Methode.
Es gibt unterschiedliche Ansätze und Meinungen zur Arbeit mit Anteilen, sowohl in der praktischen Umsetzung als auch in ihrer Anwendung. Ich verstehe mich als eine Teampartnerin auf deiner Innenreise und wir wägen zusammen die nächsten Schritte ab.
Empfohlene Ressourcen
Ich empfehle auch die Gruppenarbeit von Prof. Franz Ruppert, da ich selbst gute Erfahrungen damit gemacht habe. Er nennt diese Methode die Anliegenmethode, und die Arbeit basiert auf seinem Ansatz der Identitätsorientierten Psychotraumatologie. In vielen Städten gibt es mittlerweile Therapeut*innen, die nach diesem Verfahren ausgebildet sind und mit dieser Form der Selbstbegegnung arbeiten.
Als Basiseinführung in dieses Thema möchte ich zwei Bücher empfehlen:
Einführung in die Ego-State-Therapie von Kai Fritzsche und Woltemade Hartman (Carl-Auer Verlag)
Kein Teil von mir ist schlecht von Richard C. Schwartz (Arbor Verlag)
Abschließende Gedanken
Dieser Artikel und meine Ausführungen zu meiner eigenen Selbsterfahrung sowie zu meiner therapeutischen Arbeit sind kein Heilversprechen. Es gibt viele innere und äußere Faktoren, die den Prozess beeinflussen. Ich möchte mit diesen Gedanken inspirieren und die Neugier wecken, den eigenen inneren Weg zu erforschen.
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