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Gefühle zulassen und lebendig sein

  • Autorenbild: Michi To
    Michi To
  • 15. Aug. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Jan.


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Die Arbeit mit den Gefühlen in der Therapie

Ein zentraler Aspekt in therapeutischen Sitzungen ist die Arbeit mit den Gefühlen. Viele Menschen sind entweder nicht oder nur teilweise mit sich selbst in Kontakt und somit auch nicht im vollen Maß mit ihren Gefühlen. Unsere Gesellschaft fördert durch Leistungsdruck, das ständige Müssen-Funktionieren, Ablenkungen, Informationsüberflutung und unverarbeitete Traumatisierungen – teilweise über Generationen hinweg – das Nicht-Fühlen.

Wahre Präsenz und tiefe Verbindung zu anderen können wir nur erleben, wenn wir bereit sind, alles zu fühlen. Empathisch und authentisch mit anderen zu sein, zu kommunizieren und aufrichtig in Beziehung zu treten, ist nur möglich, wenn wir mit unseren eigenen Gefühlen im Einklang sind. Unsere Grenzen und Bedürfnisse können wir erst wirklich wahrnehmen und ausdrücken, wenn wir mit uns selbst verbunden sind. Das Verdrängen von Gefühlen führt nicht nur zu innerer Blockierung, sondern verursacht auch körperliche Spannungen, die den Atemfluss beeinträchtigen.

Wenn wir nicht im Kontakt mit unseren Gefühlen sind, richtet sich unsere Energie oft in den Kopf, und wir versuchen, das Leben ausschließlich mit dem Verstand zu führen. Doch allein der Verstand reicht nicht aus, um ein gesundes Leben in Verbindung mit uns selbst und anderen zu führen.


Warum fällt es uns schwer zu fühlen?

In der Kindheit haben wir oft gelernt, dass unsere Gefühle zu viel sind, dass es keinen Raum für sie gab oder dass es keine regulierte Bezugsperson gab, die uns helfen konnte, durch schwierige Emotionen hindurchzugehen. Als Kinder sind wir noch nicht in der Lage, starke Gefühle allein zu regulieren. Fehlt der Raum für unsere Gefühle und Bedürfnisse, haben wir sie oft unterdrückt, um die Bindung zu unseren Bezugspersonen aufrechtzuerhalten. Für Kinder hat die Bindung zu den Erwachsenen höchste Priorität, und oft tun sie alles, um diese Bindung nicht zu gefährden – auch, indem sie ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse beiseite schieben. Laurence Heller und Brad Kammer beschreiben in ihrem Buch „Praxisbuch Entwicklungstrauma heilen“ dieses Dilemma zwischen dem authentischen Selbst und dem adaptiven Selbst im Kontext des Neuroaffektiven Beziehungsmodells (NARM).

Unsere Bindungspersonen konnten nur die emotionale Reife weitergeben, die sie selbst erreicht hatten. Zudem sind die Lebensumstände nicht immer ideal: Wenn Eltern krank sind, finanzielle Schwierigkeiten haben oder selbst unverarbeitete Traumata erleben, ist es noch schwieriger, die emotionalen Bedürfnisse eines Kindes zu erfüllen.

Wenn wir unser authentisches Selbst nicht leben können und uns emotional nicht geborgen fühlen, ist das für Kinder wie ein „gebrochenes Herz“ – das Gefühl, aus der Liebe herauszufallen. Bessel van der Kolk beschreibt in seinem Buch „Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können“ das größte menschliche Leid als den Verlust der Liebe. Es ist ein Akt des Selbstverrats.


Der Weg zurück zu uns selbst

Um wieder in Kontakt mit uns selbst zu kommen, braucht es die Sehnsucht und die Entscheidung, sich wieder mit sich selbst zu verbinden – „sich nach innen zu wenden“. Unser Organismus und Nervensystem müssen sich langsam wieder an die Energie gewöhnen, die mit dem Zulassen von Gefühlen einhergeht. Da wir nur eine begrenzte Toleranz für die Verarbeitung dieser Prozesse haben, bringt ein zu schnelles oder forcierendes Vorgehen wenig. Ganz im Gegenteil: Es erfordert Langsamkeit, Achtsamkeit und das Annehmen, dass wir manchmal auch „nicht im Kontakt“ sein können. Es ist wichtig, zu erkunden, was dem Fühlen im Weg steht. Manchmal braucht es auch in der Therapie Umwege wie Stabilisierung, Ich-Stärkung, Ressourcenarbeit, Traumabearbeitung oder Körperarbeit, bevor wir uns vollständig dem Fühlen zuwenden können.

Es ist eine Reise zu uns selbst – ein Prozess, der Zeit und Geduld braucht.



Bitte beachte, dass meine Beiträge kein Heilversprechen darstellen. Ein therapeutischer Prozess wird von vielen inneren und äußeren Faktoren beeinflusst und kann individuell sehr unterschiedlich verlaufen. Ich möchte mit diesen Gedanken lediglich dazu anregen, die eigene Reise zu sich selbst zu beginnen und neugierig zu bleiben.

 
 
 

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©2020 Michaela Tomazin

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